Ehrlich?
Ich habe keine Lust auf diese Spielchen…
„Lass dir Zeit mit Antworten, sonst nimmt sich der / die andere zu wichtig!“
„Du musst dich interessant machen / halten / stellen.“
„Gib nicht alles preis, sonst wirst du verletzt!“
„Sei unnahbar. Das wirkt professioneller!“
Echt jetzt?
Was soll denn der Scheiß?
Wenn ich nur mit Menschen in Kontakt treten kann, jemanden dazu „bringe“, dass er mich gut findet oder den Kontakt mit mir hält, wenn ich gegen meine Gefühle und meine Intuition handle. Wenn ich anders sein muss, als ich bin. Wenn ich nur dann angesehen und respektiert werde, wenn ich mich verleugne. Wenn ich nur mit Maske „durchkomme“…
Trage ich dann nicht dazu bei, dass wir uns langsam immer mehr in eine Spirale begeben (die durchaus abwärts führt, wie ich meine), an deren Ende nicht Verbindung sondern Trennung steht?
Mein Sohn teilt nicht nur gern (und das als „verwöhntes Einzelkind!) – er verschenkt auch gern – und zwar alles. Seine „Sachen“, seine Schätze, sein Taschengeld, sein ganzes Herz.
„Die Menschen werden dich ausnützen!“ – Meine erste Reaktion. Programmstart: Elle Energie da hinein, den Jungen zwar ruhig aber dennoch bestimmt zu lehren „Pass auf, die Welt da draußen ist schlecht und voller Menschen mit bösen Absichten.“ Und hey – selbstverständlich mit der besten Intention!
Löwenmutter ich bin!
Don‘ t mess with Mummy!
Natürlich möchte ich mein Kind beschützen vor der dunklen, bösen Welt!
Die Jungs in der Nachbarschaft, die immer einmal wieder klingelten, um mit meinem Kind Eis essen zu gehen (welches ER natürlich bezahlte) bestätigten mich.
„Wir müssen dem Kind beibringen, dass er sich falsche Freunde einhandelt. Dass er verletzt, benutzt, am Ende womöglich gemobbt wird und als der Trottel gilt, der anderen den Popo putzt.“
Das ist doch unsere Aufgabe, oder nicht?
Wenn ich sehe, dass mein Kind einem Verwandten seine ganze Liebe schenkt und dieser dann – aus Gründen – an Weihnachten, am Geburtstag oder zu sonst einer besonderen Gelegenheit, ein Geschenk aus der Ferne sendet, es nicht schafft, ein Stündchen mit diesem kleinen Jungen zu verbringen, der ihn so sehr liebt… „Nee, dann brauchen wir AUCH nicht daundda hin kommen und uns einen ‚rausreißen‘ und es ist ‚wichtig‘, dass du, mein Kind, das auch lernst!“
Sich zum Deppen machen. Schlumpf sein. Nenn‘ es, wie du willst. Fühlt sich nicht gut an, oder?
„Aber weißt du Mama, das ist doch nicht schlimm! Das ist doch kein Grund böse zu sein. Wir haben einfach eine gute Zeit, wenn wir dann zusammen sind!“
BÄM!
Oder zu den Jungs mit dem Eis:
„Ach Mama, das macht mir nichts aus. Schau- die haben sich so gefreut. Und ich hatte doch auch Spaß!“
BÄM!
Und ganz heimlich still und leise, als ich meinem Kind gerade etwas so Wichtiges beizubringen im Begriff war, erteilte es mir eine Lektion.
Ja, er wird verletzt werden. Von Menschen, die ihm nicht wohlgesonnen sind. Von einer ersten oder von einer dritten Liebe, die ihm das Herz bricht. Von Maden im Speck. Und vor allem: Von Menschen, die gerade AUCH nur die Version ihrer selbst sind, die sie nun einmal eben maximal sein können.
Kann ich ihn wirklich davor bewahren? Nein.
Wird er es selbst zu verhindern wissen? Wahrscheinlich nicht.
Bin ich der Meinung, dass wir unbedingt ganz viele Menschen von der Sorte meines Jungen auf dieser Welt brauchen? Ja!
Wenn ich MEINE Geschichte und die Geschichte seines Vaters zusammenknülle und sehe, woher wir kommen und ich schaue mir dann dieses Kind mit den gütigen und hellwachen großen Augen an: In diesem Kerlchen findet Heilung statt.
All die Trennung auf den Kilometern, die hinter uns liegen und auf den Straßen, auf denen unsere Mütter, Väter, Groß- und Urgroßeltern gegangen sind.
All der Zorn, die Enttäuschung und Verletzung in unseren Familiengeschichten fließen hier zusammen. In einem kleinen Jungen, der seine warmen Hände auf die Wunden legt.
Wo Verstrickungen gelöst, alte Verletzungen und Schmerz geheilt werden.
Wo all das dem Erdboden gleich und Voraussetzungen für eine neue Richtung geschaffen werden.
Ein Kind voller Vertrauen und Liebe zu seinen Mitmenschen, das mir sagt: "Es ist nicht schlimm, wenn jemand etwas tut, was mir nicht gefällt. Deshalb höre ich doch nicht auf!"
– Zu lieben, zu geben, zu vertrauen.
Spielchen.
Ich danke meinem Jungen einmal mehr, folge seinem Weg ins Vertrauen.
Ich möchte keine Mauern aufbauen zwischen mir und den Menschen, die ich liebe, die mir etwas bedeuten.
Spielchen schaffen diese Trennung, Mauern.
Manchmal ist es gut, Grenzen zu setzen. Aber ich möchte die Mauern nie so hoch bauen, dass ich selbst nicht mehr schaffe, sie zu überwinden.
Werde ich verletzt? Ganz sicher. Und immer wieder.
Werde ich weniger verletzlich, wenn ich in die Trennung gehe? Nein. Aber ich verschließe mich damit alldem, was dieses wundervolle Leben zu bieten hat.
Möchte ich mich angreifbar machen? Ja! Ich will dich, pur, rau, natürlich. Sehen, was du mit mir machst, wenn ich dir meine offenen Wunden zeige. Damit ich dich kennenlerne.
In der Energie von Liebe und Verbundenheit fühle ich mich lebendig. Und in dieser Energie geht es nicht nur mir sondern auch den Menschen um mich herum besser.
Und wenn DAS ist, was ich in mir trage – und zwar allem Anschein nach unerschöpflich – warum dann nicht verschenken?
Was, wenn es egal ist, ob ich zurückbekomme? Was, wenn wir aufhören aufzuwiegen?
Ich stehe ja total auf dieses Bild des Steins, der ins Wasser geworfen wird. Zuzusehen, wie sich die Kreise bilden, kleine Wellen, wie der Radius immer größer wird. Nur durch die erste Berührung des Wassers durch einen kleinen Stein.
Nimm dir einmal einen Moment und sieh zu, was sich bewegt.
Nimm dir einen Moment und schau‘, was sich um dich herum bewegt, wenn du deinen Stein ins Wasser wirfst.
Einer muss den Anfang machen.
Ich wähle „Das verletzt mich!“, „Ich liebe dich, du bist mir so viel wert!“, „Ich habe Angst!“ und „Ich vermisse dich!“. Ich wähle „Ich fühle mich gerade wertlos, unsicher, voller Scham!“ Ohne So-tun-als-ob.
Ich wähle, deine Nachricht zu beantworten. Jetzt. Gleich. Ohne Zappelnlassen.
Ich wähle Authentizität. Verbindung. Ohne Du-kannst-mir-gar-nix.
Einer muss den Anfang machen.
Comentários